, Timea Frey

Wenn man "blind" vertrauen muss

Für das Klassenprojekt Schülerzeitung "Zimmer 101" der Klasse 9A in Münsingen begleitete Timea Frey Blinde- und Sehbehinderte Personen bei verschiedenen sportlichen Aktivitäten und führte diese Sportarten im Selbstversuch ebenfalls Blind aus. Aus diesen Erfahrungen entstand der Bericht übers Tandemfahren, Skifahren und Joggen ohne etwas zu sehen.

Wie geht man joggen, wenn man nichts sehen kann? Kann man auch mit einerSeheinschränkung eine Velotour machen? Welchen Herausforderungen stellt man sich, wennman blind ist und trotzdem Skifahren möchte?

Ich mache selbst gerne Sport und bin viel mitdem Velo oder in den Laufschuhenunterwegs. Im Winter findet man mich fast jedes Wochenende im Schnee und auf den Skipisten. Doch wie geht das für Personen,die blind oder teilweise seheingeschränkt sind? Um dies herauszufinden habe ich meine Eltern, welche beide freiwillig als Blindenguides tätig sind, bei ihrer Arbeit begleitet. Ich löcherte sie mit Fragen, recherchierte und testete einiges selbst aus. Dadurch erfuhr ich viele spannende Dinge.

«Blindes» vertrauen auf der Skipiste

Im Winter war ich dabei, als mein Vater eine blinde Person beim Skifahren begleitet hatte. Sie trugen beide Leuchtwesten, welche die anderen Skifahrenden darauf hinweisen, rücksichtsvoll zu fahren. Bereits beim Auf-und Absteigen auf den Sessellift muss der Guide informieren wann aufstehen oder absitzen.

Auf der Piste ist es unterschiedlich, wie der Guide führt. Es kommt auf das Sehvermögen des Fahrers darauf an. Bei den meisten Fahrern fährt der Guide hinter dem Blinden und gibt Sprachkommandos.

Es gibt jedoch auch Fahrer die «Auf Sicht» fahren. Das bedeutet, der Guide fährt vor der seheingeschränkten Person und diese direkt dahinter. Diese Art des Führens wird jedoch im Breitensport nur bei Fahrern angewendet, welche noch ein wenig sehen können. Dank der gut sichtbaren Leuchtweste kann die sehbeeinträchtigte Person ihren Guide sehen und ihm folgen. Dieser muss trotzdem immer wach sein und vor allem vor unvorhergesehenen Dingen warnen. Besonders bei hohem Tempo, vielen anderen Leuten auf der Piste oder schlechten Sichtverhältnissen.

«Blindes» vertrauen auf der Skipiste

Der Begleiter muss auf viele Dinge gleichzeitig achten. Während er dem Blinden Kommandos gibt, muss er auf alle anderen Skifahrenden achten, diese einschätzen und die Übersicht behalten. Je mehr andere Leute es auf der Piste hat, desto anspruchsvoller wird es. Der Guide ist dazu verpflichtet, das Tempo den Verhältnissen und dem Gelände anzupassen. Gerade bei engen, steilen oder abfallenden Pisten, bei Schneehaufen oder bei Richtungswechseln braucht es besondere Vorsicht. Wind oder harte Pisten erschweren die Kommunikation.

Erklärung der Kommandos

Der Guide sagt vor jedem Schwung «und links» dann «und rechts» und soweiter. Das «und» dient dazu, dass die blinde Person sich auf die Kurve vorbereiten kann, bei «links» und«rechts» wird der Schwung ausgeführt.Bei langgezogenen Kurven ist das Kommando jeweils «und links, links, links» oder «und rechts, rechts, rechts.» Nach dem Kommando «frei fahren», fährt die Fahrerin selbstständig weiter, ohne dass ihr Guide jede einzelne Kurve ansagen muss. Das kann jedoch nur bei passenden Verhältnissen angewendet werden. Nach der Anweisung «und anhalten» bremst die Fahrerin normal ab und hält an. Sagt der Guide jedoch plötzlich «stopp», so muss sie so schnell wie möglich anhalten und zum Schutz die Arme über den Kopf halten. Dieses Signal wird jedoch nur benutzt, wenn höchste Gefahr herrscht.
*Aufgelistet sind nur diemeistgebrauchten Kommandos.

Joggen im Tandem

Als ich meine Mutter bei einer Joggingtour mit einer blinden Frau begleitete, hörte ich vor allem, wie sie die Läuferin vorStolperfallen wie Trottoirkanten, Treppen oder unebenem Boden warnen musste. Nacheiner solchen Warnung hob die Läuferin jeweils die Füsse höher, um nicht darüber zu stolpern. Wenn Velofahrer, Leute mit Hunden oder Personen mit Kinderwagen kamen, meldete sie dies früh genug, damit die blinde Person sich nicht erschreckte. Die Läuferin und der Guide trugen beide Leuchtwesten und liefen im gleichen Rhythmus. Sie hielten beide mit der Hand an einem Band, damit der Guide leichte Richtungsänderungen machen und die Läuferin um ein Hindernis herumführen konnte, ohne dieses anzusagen.

Volle Konzentration des Guides
Der Begleiter muss seine Aufmerksamkeit während der Joggingrunde zu hundert Prozent der Läuferin widmen. Die Trainings dauern jeweils ungefähr eine Stunde. In dieser Zeit muss der Guide seine eigenen Bedürfnisse und Probleme für eine Weile zurückstellen, um seinem blinden Läufer bestmögliche Sicherheit zu gewähren.Schliesslich ist es für sie nicht selbstverständlich, immer drauflosrennen zukönnen, wenn sie gerade Lust dazu haben.

 

Velofahren mit einer Sehbehinderung

Ich durfte bei einer Tandemausfahrt des Tandemvereines Bern mitfahren und dabei das Geschehen beobachten. Da mein Vater Guide in dem Verein ist, durften wir ein Tandem von ihnen ausleihen und damit eineTour durch Bern machen. Ich hatte die Augen verbunden und sass als Copilotin hinten auf dem Tandem.
Der sogenannte Pilot, also der Guide, sitzt vorne auf dem Tandem und steuert. Der Copilot, also der seheingeschränkte Fahrer, sitzt hinten und kann weder steuern noch bremsen.

Es braucht das volle Vertrauen in den Piloten
Es war ein sehr eigenartiges Gefühl, dass ich der Person vor mir zu hundert Prozent vertrauen musste. Schliesslich ist es für mich - wie auch für die meisten anderen Leute - völlig alltäglich: Wenn man mit dem Velo unterwegs ist, sieht man die Umgebung, den Verkehr und die anderen Leute auf der Strasse. Man weiss, wann der Weg steigt und wann es nach unten geht. Normalerweise ist man für sich selbst verantwortlich und kann selbst wählen,wie schnell man fahren und wann man bremsen möchte.
Sobald ich jedoch die Augen verbunden hatte, war das alles weg. Auf einmal konnte ich den Verkehr nur noch hören. Dadurch wusste ich zwar, dass um mich herum Autos und andere Velos sind, ich konnte jedoch nie genau sagen wo, wie viele oder wie nahe sie vorbeifuhren. Ich merkte, wann wir schneller fuhren, aber ich konnte nur schlecht einschätzen, wie stark bergab die Strasse ging. Oft fühlte es sich steiler an, als es in Wirklichkeit war. Spannend war, dass ich hörte und spürte, wenn wir über einen Kiesweg fuhren oder wenn es kurvig war. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wie breit derWeg war oder wie die Umgebung aussah. Ich konnte es mir nur dadurch etwas vorstellen, weil mein Vater mir erklärte, wo wir waren und wie es um uns herum aussieht. Er warnte mich immer, bevor der Weg uneben wurde oder wenn er über eine Kante fuhr, damit ich entsprechend entlasten konnte. Er informierte mich immer vor dem Anhalten oder Losfahren.

Ausbildung zum Blindenguide:

Laufsport:
Die Ausbildung beinhaltet ein Schnuppertraining, einen Ausbildungstag und anschliessend zwei Praktika unter der Leitung erfahrener Guides.
Velo:
Damit man mit sehbeeinträchtigten Menschen Tandem fahren darf muss man einen Einführungskurs machen.
Ski:
Um Behindertensportleiter im Skifahren zu werden, braucht man eine umfangreichere Ausbildung als in den anderen Sportarten. Dazu gehört ein Technikkurs, ein Guidekurs, ein fünftägiges Praktikum und eine Praxisprüfung. Sobald man diese bestanden hat, ist man Behindertensportleiter Schneesport.

Weitere Informationen finden Sie aufdiesen Webseiten:
www.plusport.ch, www.blind-jogging.ch, www.tandemverein.ch
Vereine wie diese bilden nicht nurGuides aus, sondern bieten auchLager, Trainings oder andereAngebote an, um Seheingeschränktenden Sport zu ermöglichen.